Welche Wirklichkeit wollen wir?
Beiträge zur Kritik herrschender Denkformen
Herausgegeben von Jürgen Schiewe



Zusammenfassung



Rezensionen




Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Bernhard Pörksen: Fiktion und Wirklichkeit. Über die Schärfung des Möglichkeitssinns, die Kunst der Verwandlung und den subversiven Konstruktivismus

Dietz Bering: Paralinguistische Mimesis. Sprachskepsis und Sprachvertrauen bei Friedrich Nietzsche

Peter Nicolaisen: Wissenschaft für alle? Zur Rolle der Wissenschaft in Schule und Lehrerbildung

Ludger Lütkehaus: Reklame – Die Pest der Kommerzgesellschaft. Ein Pamphlet

Christian Hiß: Kulturkost statt Naturkost

Beate Zimmermann: Genetische Wahrsagerei als Böser Blick

Wulf Kirsten: Gegensprache im Gedicht

Jürgen Schiewe: Sprache zwischen Sprachwissenschaft und Sprachkritik

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Zusammenfassung des Inhalts

Kann man »Wirklichkeit« wollen? Finden wir nicht stets eine bestimmte Wirklichkeit vor, eine »objektive« Realität, die wir anzuerkennen und anzunehmen haben? Ist die Welt mit ihren Gesetzmäßigkeiten für den Menschen wie für alle anderen Lebewesen und Dinge, die Teil dieser Welt sind, nicht einfach nur vorhanden in dem Sinne, daß sie uns »zur Hand« ist, daß wir mit ihr »umgehen« können, nicht aber, daß wir sie wollen oder nicht wollen oder anders wollen können?

Der Mensch ist Mensch durch seine Fähigkeit, alles, buchstäblich alles, in Zeichen zu verwandeln und mit diesen Zeichen zu denken und zu handeln. Diese Fähigkeit macht seine Freiheit aus, löst ihn aus der Notwendigkeit eines unbewußten oder zumindest im Rahmen fester Instinkte determinierten bloßen Reagierens. Doch diese Freiheit geht mit einem Zwang einher, dem Zwang, jene Fähigkeit auch auszubilden und stets, im Denken wie im Handeln, einzusetzen. Dieser Zwang zur Freiheit des Denkens in Zeichen und des Handelns mit Zeichen macht den Menschen auch zum »Konstrukteur« seiner Wirklichkeit.

Zeichen und Zeichensysteme werden verändert, Neues kommt hinzu, Altes wird vergessen, zugleich zeigt einiges, ja vieles eine erstaunliche Beharrlichkeit. Der Mensch als geschichtliches und soziales Wesen konstruiert seine Wirklichkeit und damit ja auch seine Zeichen nicht individuell, sondern er ist, will er im sozialen Rahmen handlungsfähig bleiben, darauf angewiesen, bestehende Zeichen und Zeichensysteme zu akzeptieren, sie anzunehmen, nachzuahmen. Dieser konventionelle Charakter der Zeichen muß nicht Uniformität bedeuten, kann aber gruppenbildend wirken. Bestimmte Gruppen konstruieren in Zeichen und mit Zeichen bestimmte Wirklichkeiten und prägen bestimmte Denkformen aus. Ist eine dieser Gruppen mit einer wie auch immer gearteten Macht ausgestattet, dann kann ihre Denkform herrschend werden. Mögliche andere Wirklichkeiten, mögliche andere Denkformen werden dann ausgeblendet, verschwinden aus dem Bereich des Denkbaren. Da aber herrschende Denkformen nicht unbedingt die beste aller möglichen Wirklichkeiten konstruieren müssen, sind eine skeptische Haltung und eine kritische Reflexion stets vonnöten, ist der Aufweis von Alternativen geboten. Eine Kritik herrschender Denkformen will ein Bewußtsein davon schaffen, daß Wirklichkeiten gewollt werden können und daß über die Entscheidung, welche Wirklichkeit wir wollen, zumindest diskutiert werden sollte.

Dieses Buch ist dem Sprachwissenschaftler und Sprachkritiker Uwe Pörksen zu seinem 65. Geburtstag am 13.März 2000 gewidmet. Bereits seit den siebziger Jahren, beginnend mit seinen Arbeiten zur Geschichte der Sprachkritik, verstärkt dann in den achtziger und neunziger Jahren im Zusammenhang mit gegenwärtiger Sprach- und Bildkritik, mit der Beschreibung von »Plastikwörtern« (Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart 1988) und »Visiotypen« (Weltmarkt der Bilder. Eine Philosophie der Visiotype, Stuttgart 1997), hat Uwe Pörksen die Frage beschäftigt, in welcher Weise durch Sprache und durch »Bilder«, also durch Zeichen, Wirklichkeit »konstruiert« und festgelegt wird. Bestimmte Formen des öffentlichen Sprachgebrauchs, die er als »Verwissenschaftlichung« oder »Mathematisierung der Umgangssprache« charakterisiert hat, halten das Bewußtsein von Welt und Wirklichkeit »gefangen«. Der zunehmende Gebrauch von Visualisierungen innerhalb der öffentlichen Diskussion und Argumentation legt Denk- und Wahrnehmungsbahnen fest, aus denen nur schwer auszubrechen ist.

Der Sammelband ist ein Versuch, die Gedanken Uwe Pörksens zum Ausgangspunkt für weitere Überlegungen in unterschiedlichen Bereichen zu nehmen. Der Versuch hat Vielfalt hervorgebracht, in den Themen wie in den Formen.

Bernhard Pörksen zeigt, wie leicht vermeintlich objektive Wissenschaft in Scharlatanerie, Wirklichkeit in Fiktion verwandelt werden kann. Dieser Destruktion folgt die (subversive) Konstruktion, der Aufbau des Gedankens, daß in einer jeden Wirklichkeit Möglichkeiten stecken, die sich aus ihr »mit Skepsis und Humor« herauslesen lassen und, haben sie die Wirklichkeit erst einmal fraglich gemacht und die statischen Denkformen aufgelöst, einen kreativen Neubeginn bedeuten können.

Dietz Bering geht der Frage nach, wie sich theoretische Sprachskepsis und praktische Sprachkraft, Sprachvertrauen, für und bei Friedrich Nietzsche verbinden lassen: Skepsis betrifft jene Worte und Begriffe, die feste Grenzen und Einheitlichkeit dort suggerieren, wo eigentlich fließende Übergänge und Vielfalt zu finden sind; Vertrauen dagegen gründet sich auf Außer- und Paralinguistisches, auf die Musik, die Gebärde, den Ton, den Rhythmus. Nur in ihnen, den die Sprache begleitenden Merkmalen, kann eine im Fluß befindliche Wirklichkeit gespiegelt werden.

Peter Nicolaisen konfrontiert die verwissenschaftlichte Lehrerausbildung als gegenwärtig herrschende Denkform mit einem lebensweltlichen Konzept, das ganzheitlich und damit antireduktionistisch angelegt ist.

Ludger Lütkehaus polemisiert gegen die Reklame, die Kommerz und Konsum zum Lebens- und Wirklichkeitsprinzip erhebt und durch Suggestion und Manipulation Werte wie Aufklärung und Mündigkeit negiert, ja abschafft.

Christian Hiß stellt der vermeintlich modernen und fortschrittlichen industrialisierten Landwirtschaft die von ihm bereits realisierte Möglichkeit einer »künstlerischen« Landwirtschaft gegenüber, die Natur und Kultur nicht als Gegensätze, sondern als Freiraum begreift, in dem der Landwirt und Gärtner gestaltend arbeiten kann.

Beate Zimmermann skizziert am Beispiel der Krebsforschung die Auswirkungen der Genforschung auf die Vorstellung von Wirklichkeit. Sie zeigt, wie die Wissenschaft aus einstmals gesunden Frauen potentiell kranke Frauen macht, und sie stellt eindringlich dar, daß außerhalb oder neben der Wissenschaft auch andere Wirklichkeiten denkbar sind.

Wulf Kirsten setzt gegen eine verselbständigte Sprache des Alltags, gegen die in ihr unreflektiert benutzten Schablonen, die Sprache der Poesie, die Gegensprache im Gedicht. Er vertraut der Kultur und fordert sie in ihrem ursprünglichen Sinn, auch wenn sie von einer kaum erhörten Elite ausgesprochen wird.

Jürgen Schiewe stellt die Sprache in den Mittelpunkt der Betrachtung – die Sprache, wie sie von zwei unvereinbar scheinenden Positionen, der sprachwissenschaftlichen und der sprachkritischen, aufgefaßt wird. Hier kommt der Sprachkritiker Uwe Pörksen selbst zu Wort, indem versucht wird, seiner Antwort auf die Titelfrage dieses Bandes nachzuspüren und als einen möglichen Leitgedanken für die Auffassung und den Gebrauch von Sprache anzubieten.

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Rezensionen

Freiburger Universitätsblätter, März 2000      Das Bändchen ist durchgehend in einer lebendigen, ausformulierten, auch Laien verständlichen Sprache geschrieben. Es zeigt, daß Pörksens Überlegungen zu Sprache, Denken und Wirklichkeitskonstruktion in ganz unterschiedlichen Bereichen fruchtbar geworden sind und dort helfen, Wirklichkeit zu erschließen. Das nimmt nicht Wunder, denn seine Frage ist universal.
Carl Pietzcker

 

Fuldaer Zeitung, November 2000     Skepsis und Kritik herrschenden Denkformen gegenüber haben sich die Autoren der Festschrift zu Uwe Pörksens 65. Geburtstag vorgenommen. Sorgfältig ausgestattet hebt sie sich äußerlich und durch ihren Inhalt positiv von der drögen Festschriftmasse ab.
Sebastian Balzter

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